Seit meiner frühesten Kindheit stellten sich mir die Fragen: „Wer bin ich?“ und „Was bin ich“?
Die Straßenlaterne wackelte im Winde und ich dachte nach. Ich dachte später immer wieder nach. Aber mein Leben gab mir die Antwort: Ich wurde Wiener, Österreicher, Europäer. Und ich wurde Mensch. Meinen drei Identitäten bin ich nachgegangen, zu jeder habe ich mir etwas einfallen lassen.
Ja, ich bin Wiener. Hier habe ich – mit einer Unterbrechung, in den Kriegsjahren 1943-1946 – meine Kindheit und Jugend verbracht. Hier war ich in verschiedenen Berufen tätig, hier bin ich alt geworden. Ich bin nie von Wien weggegangen. Hier ist meine Heimat, hier bin ich zuhause.
Meine zweite Identität: Ich bin ein Österreicher. Ich bin als Österreicher 1937 geboren, wurde 1938 Deutscher, und in den Schulen, vor allem in Grundlsee, zum Deutschen erzogen. 1945 wurde ich wieder Österreicher und ich lernte buchstäblich, Österreicher zu werden. Wir wurden stärker zu Österreichern erzogen als unsere Eltern. Schon in der Kindheit und Jugend wurde ich Europäer. Auch dazu haben mich meine Lebensumstände, auch Bücher und Reisen gemacht, Auch die 4 Besatzungsmächte trugen auf ihre Weise in den zehn Jahren ihrer Besetzung dazu bei. „Österreich ist frei!“ – mit diesem Satz Leopold Figls am 15. Mai 1955 im Belvedere – ich war unmittelbar nach der Matura dabei – wurde ich österreichbewusst.
Ein solches Glücksgefühl wie damals habe ich der Politik nie mehr gefunden. Auch nicht mit dem Beitritt zur EU. Ich hatte „Vereinigten Staaten von Europa“ erwartet, sie sind bis heute nicht gekommen.
Das vorliegende Buch ist kein Sachbuch und kein wissenschaftliches Buch, dazu ist es zu subjektiv. Ein Freund nannte es „eine Wienerische Suche nach der verlorenen Zeit.“ Es ist ein persönlicher Gebrauch der Geschichte, mehr Bekenntnis als Erkenntnis. Es ist eine Collage von Erinnerungen, Gefühlen, Gelerntem und Gelehrtem.
Erinnern ist die Aufgabe der Alten. Das „Nichtvergessendürfen“ ist Aufgabe jeder Generation. Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik werden immer aktuell bleiben. Ich habe daher jeden der drei Teile mit Fragen enden lassen und haben sie aus meiner Sicht beantwortet. So hoffe ich, als alter Zeitzeuge zur Diskussion in der Gegenwart für die Zukunft beizutragen.
In diesem Buch sind manche Kapitel autobiographisch gestaltet. Diesbezüglich und überhaupt verweise ich auf meine Bücher „Ein Kind meiner Zeit“ (2005), „Student in Rot-Weiß-Rot“ (2013), „Ein Wiener der Zweiten Republik“ (2012), und „Ein Baum in der Lichtung“ (2014).